Rainer Pless hielt diese Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung “Das Ei und die Liebe” in der Galerie blaues Haus in Pegau, bei Leipzig, der Geburtsstadt von Cosia Immerscheen
Ganz besonders begrüße ich Johanna Renate Wöhlke.
Dieser Hamburger Fotografin, Journalistin, Politologin, Autorin, Poetin und Königin des gebratenen Eis haben wir die aktuelle Ausstellung mit Fotografien von Cosia Immerscheen zu verdanken, die ich jetzt die Freude habe unter dem Titel „Das Ei und die Liebe“ zu eröffnen.
Am Beginn unser aller Dasein stand das Ei.
So auch bei Cosia Immerscheen. Doch schlüpfte diese, anders als wir gewöhnlichen Wesen und ähnlich Venus, der Schaumgeborenen, nicht aus einem ganz normalen Ei. Nein! Bei Cosia Immerscheen ist es geboten, von der Spiegeleigeborenen zu sprechen.
Denn ähnlich all den Werken dieser Ausstellung formte sich Cosias Wesen, Geist, Charakter, Antlitz in der Hitze der Bratpfanne, während ein nacktes Ei sich in zischendem Fett zu Essbarem wandelte.
„Man gibt nicht viel Goldes um ein Ei“.
Dieses alte Sprichwort mag wohl wahr sein, doch missdeutet es die Tatsache, dass das Ei in den Augen Vieler Ausgangpunkt, Basis und Notwendigkeit alles Seins dieser Erde darstellt.
Oder war doch zuerst das Huhn?
Diese Frage bewegte bereits die Geisteswissenschaften der Antike.
Überliefert dazu sind z.B. Auslassungen Aristoteles`und Plutarchs, die allerdings zu keinem abschließenden Urteil, wer nun zuerst da gewesen sei, das Ei oder die Henne, gekommen sind.
Die Bibel klärte dieses Problem.
Gott schuf alle Lebewesen, also war zuerst das Huhn.
Erst Darwin vermasselte der Kirche dann diesen philosophischen Ansatz mit seiner Evolutionstheorie und noch heute stellt uns nun das Huhn respektive sein Ei vor die Frage: Wem glaube ich nun, dem notenverteilenden Biolehrer oder dem lieben Gott?
Oder, wie Marx es philosophisch formulierte: Die entscheidende Frage aller Philisophie lautet: Wer hat das Primat: die Henne oder das Ei?
Doch nicht nur die Geisteswissenschaften sind durchdrungen von Eiern. Es ist dem Menschen auch Nutzobjekt.
Nicht nur gekocht, gerührt, gespiegelt zum Verzehr bestimmt gilt uns das Ei als nützlich. Auch in leckeren Kuchen verbacken nützt es sehr.
Und wäre Eierlikör denkbar ohne Ei?
Besonders erheiternd aber wirkt das auf dem Boden eines Marktes als Gleitmittel ausgelegte rohe Ei, wenn ein Anderer darauf ins Gleiten gerät.
Auch bei dem verbalen Verkehr unter uns Menschenkindern ist das Ei nicht wegzudenken.
Der Eierkopp ist von alters her bekannt, der Eiernippel ist in der Lampenindustrie gebräuchlich, der Eiermann-Preis gilt unter Architekten als erstrebenswert, und mit dem Satz: „Die Kanzlerin hat Eier wie Stahl“ benötigen Kabarettisten nur einen Satz, etwas auszudrücken, wofür sonst selbst geübte Politiker vielseitige Abhandlungen schreiben müssten, deren Inhalt auf das Gleiche hinauslaufen sollte.
Und stellen Sie sich ein I Pod ohne Ei vor. Dann wäre es im Englischen eine THC-haltige Droge und die Franzosen gar würden ihnen als Pot eine Kanne oder einen Topf bringen. Die Deutschen übrigens auch.
Aber außer für die Vermehrung, Geistes- und Naturwissenschaften, in Glaubensfragen, Kommunikation und Technik hat sich das Ei in der Kunst einen festen Platz sichern können.
Das Ei in der Kunst spielt eine Schlüsselrolle. Alle großen Künstler haben sich dieser Form in der einen oder anderen Art und Weise angenommen. Denn interessanterweise ist das Ei weder rechteckig, quadratisch oder entspricht einer anderen geometrischen Form, es ist ein Mysterium der „Heiligen Geometrie“.
Zwei der herausragendsten Künstler des 20. Jahrhunderts, Salvadore Dali und Max Ernst. Mitbegründer der DADA-Bewegung, Visionäre und Wegbereiter einer “schöpferischen Kunst”, haben die Kunstszene beeinflusst wie kaum jemand vor ihnen und ihr eine neue Dimension erschlossen. Das Ei war beiden von allergrößter Bedeutung dabei, weil sie dessen universelle Bedeutung für das Leben verstanden.
Und außerdem hatte das Ei als Bindemittel für die Ei-Tempera schon seit langem eine große Bedeutung. Bereits Ikonen der Frühzeit wurden damit gemalt.
Diese Darstellung des Eies in der Weltgeschichte ist vielleicht etwas simplifiziert, aber das Ei des Kolumbus bezeichnet ja auch kein Körperteil sondern die Vorgehensweise, einen komplizierten Sachverhalt einfach darstellen zu können.
Und nun Cosia Immerscheen!
Sie schert sich nicht um das alte Sprichwort: „Es sieht ein Ei dem andern gleich“.
Sie mag sich gesagt haben: „Alles, was mit Vermehrung zu tun hat, muss mindestens eine erotische und eine schmerzvolle Seite haben.“
Und sie machte das Ei nackt.
Es glitt elegant in eine Pfanne, es zischte und gurgelte, es schmatzte und schnalzte, es rekelte und streckte sich, es zuckte und spreizte sich – um mit einem letzten, gewaltigen Aufbäumen und stoßweisem Zischen zu erstarren im heißen Tiegel der Lust.
Was für ein Rausch!
Was für ein Genuss!
Was für ein Bild!
Und wie im wahren Leben, wie im Bett so auch im Tiegel: Ein jedes Ei hat seinen eigenen Charakter, sein eigenes Empfinden, sein ganz persönliches Aussehen.
Ein jedes Ei reagiert anders. Das eine streckt sich ihnen entgegen, das andere zieht sich in sich zurück. Das eine zeigt sich in voller Schönheit, das andere zeigt sich nur teilweise, hier eine Brust, da ein Popo. Es öffnet sich, es schließt sich, es reizt Sie, dass Sie es gleich verschlingen mögen oder es frustriert als reiner Engel.
Sie können es von außen nicht erahnen.
Sei es nun das Ei vom Huhn, der Gans, dem Strauß oder der Überraschung, ein jedes ist auch ein wenig Überraschungsei: Sie wissen nie im Voraus, wer darinnen ist.
Wird es ein Elvis, Darth Vader oder ein Engel?
Zeigt sich das knackige Küken oder dessen Oma?
Bekommen sie die Brust, den Penis oder den Hintern? Oder einen Vollmond, Atompilz oder gar ein ganzes Universum?
Cosia Immerscheen meint auf die Frage, warum ihre Kunst, die von ihr begründete EggArt, eine so erotische sei: „Ich kann doch nichts dafür, was die Eier in meiner Pfanne so treiben.“
Recht hat sie!
Freiheit dem Spiegelei!
Es lebe die Liebe!
In manchem Ei befinden sich zwei Dotter. Im Tiegel formen sie sich dann mitunter zu einem bunten Hinternis.
In manchem Menschen befinden sich zwei Seelen. Die formen sich dann zu einem Künstler.
So kommt es, dass heute und hier die Damen Wöhlke und Immerscheen unter uns weilen, obwohl wir nur Johanna Renate Wöhlke sehen.
Es ist nur Künstlern gegeben, dieses Phänomen zu beherrschen, ohne dabei schizophren zu werden.
Betrachten Sie nun die Eier dieser Ausstellung. Nehmen Sie das wohlige Prickeln aus der Bratpfanne mit nach Hause und Sie werden erkennen, dass Sie spätestens morgen Ihre Frühstückseier mit ganz anderen Augen sehen werden.