Mit raten Geld verdienen…
„Hast du dir schon mal überlegt, ob du vielleicht mit raten Geld verdienen willst?“, fragte das Ei heute früh.
„Mit raten Geld verdienen?“, ich konnte nur erstaunt zurückfragen.
„Mir scheint das eine klare Sache zu sein“, setzte das Ei fort, „Künstler haben ja nie eine Garantie dafür, dass ihre Bilder gefallen und gekauft werden. Mit mir wirst du ganz bestimmt nicht reich werden. Vielleicht geht das ja mit raten besser.“
„Wie kommst du darauf, dass es mein Ziel ist, mit dir viel Geld zu verdienen? Ich höre immer nur raten, raten, raten“, konnte ich nur verwirrt antworten. „Was meinst du damit?“
„Es gibt Agenturen, die verdienen mit raten Millionen. Auf Englisch heißt das Rating-Agenturen, hab ich gerade neulich gehört. Außerdem weiß ich noch mehr: Diese Rating-Agenturen sind private, gewinnorientierte Firmen. Die raten, ob Unternehmen oder Staaten oder wer auch immer kreditwürdig sind. Wenn sie geraten haben, dass sie es sind, ist es gut. Wenn sie geraten haben, dass sie es nicht sind – geht alles den Bach runter, irgendwie…und damit verdienen sie sehr, sehr viel Geld. Egal zu welchem Ergebnis sie kommen, sie verdienen immer. Das ist doch eine glänzende Geschäftsidee!“
„Klar“, konnte ich nur antworten, „aber die gibt es schon.“
Das Ei aber sprach schon ganz begeistert weiter: „Sei nicht dumm. Wenn man mit raten so viel Geld verdienen kann, dann sollte man das tun!“
Ich hatte meine Sprache wiedergefunden und antwortete: „ So einfach ist das nicht. Ich werde sicherlich so schnell keinen finden, der mir glaubt, was ich rate. Also: Glauben, das ist das Wichtige, du Ei du!“
„Dann ist glauben eine Fortsetzung von raten?“, fragte das Spiegelei, und ich hatte das Gefühl, es fragte nur rhetorisch. „Na ja, da fehlt doch nur ein Buchstabe vor raten, nämlich das B. Dann ist es braten – und mit braten kann man doch bei mir nie etwas falsch machen.“ So zynisch kann das Spiegelei sein, sieh mal einer an.
„Wir machen doch in der Kunst auch nichts anderes als raten und glauben“, antwortete ich.
Was hatte ich da gesagt?
Das Ei hatte wie immer schneller begriffen als ich. „Du meinst, wenn du ein Bild machst, müssen die anderen immer raten, ob es Kunst ist? Wenn sie Dir glauben, sind sie verzückt, zücken ihre Brieftasche und legen die Scheine auf den Tisch…?“
„Pst, nicht laut sagen, nur unter uns…aber vielleicht ist es so, könnte sein“, erwiderte ich schmunzelnd.
„Dann ist die ganze Kunstwelt also wie eine große Rating-Agentur und deshalb verdienen manche Geld mit Kunst und manche nicht. Die Kunstrater bestimmen, was Kunst ist, die anderen glauben das und bezahlen viel Geld dafür, egal was es ist…“
An diesem Punkt blende ich die Unterhaltung zwischen dem Ei und mir aus. Es wurde zu heiß in der Bratpfanne und ich hatte keine Lust, mich zu verbrennen. Wir werden irgendwann weiter reden, da bin ich mir sicher.